Kosten-Nutzen Vergleich von Tollwutimpfstoffen für den Menschen 1970-1978
Wo immer sich im Gesundheitssektor Forschungsbereiche von großem internationalen Interesse auftun und zudem komplexe interdisziplinäre Arbeit betreffen, tritt die WHO gerne auf den Plan. Denn die WHO ist immer bemüht, von den Wurzeln des Geschehens ausgehend zu wirken, dem „grass-root-level“ der Menschen unter jeweiligen sozioökonomischen Bedingungen. Das bedarf engster Zusammenarbeit mit Gesundheitsdiensten und Patienten vor Ort. Und dazu bot sich in Nordrhein-Westfalen eine ganz besondere Situation.
So wie sich Baden-Württemberg zusammen mit der WHO auf die Erforschung des Seuchengeschehens in der freien Wildbahn konzentrierte,- wegen des übersichtlichen Seuchenverlaufs (siehe „Gründung des WHO-Mediterranean Zoonoses Control Center (MZCC) in Athen“) -, nahm Nordrhein-Westfalen die Wirkung und Nebenwirkung neuer Impfstoffe für tollwutexponierte Menschen ins Visier. In den 1970er-Jahren erfolgte die Ablösung der Hempt-Vakzine, die zwar kostengünstig war, durch ihren hohen Anteil an Hirngewebe vom Schaf aber schlimme Nebenwirkungen hatte (Häufigkeit neurologischer Komplikationen ca. 1:1,800). Da war der neue Impfstoff, für dessen Herstellung man das Tollwutvirus in Entenembryonen vermehrte, schon wesentlich verträglicher (neurologische Komplikationen 1:33,000). Und dann war mit kräftiger Unterstützung der WHO auch schon der High-Tech-Impfstoff auf den Weg, für den das Virus in Kulturen menschlicher Zellen gezüchtet wurde, die HDC-Vakzine (Human Diploid Cell Culture, neurologische Komplikationen <1:260,000). Aber die Kosten schnellten gewaltig in die Höhe. Alle drei Impfstoffe waren in besagten 70er-Jahren noch und schon auf dem Markt und insbesondere in Nordrhein-Westfalen im Einsatz, nicht zuletzt wegen der Initiative von Prof. Dr. Ernst Kuwert, der dort auch den Entenembryo-Impfstoff in der Praxis erforschte. So ließen sich also drei völlig verschiedene Tollwut-Impfstoffe im selben Gesundheitssystem vergleichen.
Die dafür notwendige Zusammenarbeit verschiedenster Sektoren bekam sicherlich Impulse aus internationalen und nationalen Strukturen. Die Funktion der Akteure, ihr Fleiß, ihre Kenntnisse und Zuverlässigkeit erscheinen dem Chronisten als vorausgesetzt. Letztlich basierte aber alles auf der Bereitschaft und Genialität führender Köpfe. Und so dringen bei dem hier angesprochenen Impfstoffvergleich in meinen Erinnerungen drei Persönlichkeiten in den Vordergrund, die sich über Jahre hinweg immer enger miteinander verbanden und die ich hiermit in Erinnerung rufe:
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Prof. Dr. med. vet. Ernst Kuwert, Tierarzt und Virusforscher, der in den 70er-Jahren als ordentlicher Professor und Institutsdirektor am Klinikum Essen wirkte. Das Besondere: damals, längst international angesehener Wissenschaftler, war er in derselben medizinischen Fakultät gleichzeitig deren Dekan wie auch Student im klinischen Semester. Er bestand das zentralisierte Medizin-Examen dann auch als Landesbester. Ernst Kuwert gab die Initialzündung zu dem Impfstoffvergleich und vertrat an seinem Klinikum die Doktoranden, welche mit mir in Genf das sehr umfangreiche Datenmaterial auswerteten.
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Prof. Dr. med. vet. Joachim Quander, Ministerialdirektor und Landestierarzt von Nordrhein-Westfalen, der Amtsstrenge, Kollegialität und Fürsorge „verlustfrei“ in sich vereinte. Das Besondere: Trotz der vielen Pflichten oder gerade deshalb bewahrte er sich noch viel Freiraum für wissenschaftliche Neuerungen. Joachim Quander steuerte aus seinen Veterinäruntersuchungsämtern genaue Daten zum Vorkommen und den Kosten der Seuche im Naturreservoir und bei Haustieren bei. Bedeutsam war auch seine Sammlung von ca. 2000 Flaschen besten Rheinweins der Sorte Riesling. Internationale Besucher erfuhren damit und mit der rheinischen Lebensart einen genüsslich Umgang.
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Prof. Dr. med. Josef Posch, oberster Seuchenbekämpfer des Landes Nordrhein-Westfalen, ließ durch eigens entworfene Meldezettel und Fragebögen landesweit den Einsatz der Impfstoffe bis hin zu den Nebenwirkungen und damit verbundenen Folgekosten erfassen. Die höchst gewissenhafte Mitarbeit der privaten Ärzteschaft war bei diesen Erhebungen erstaunlich. Zum Erfolg hat sicherlich das hohe Ansehen beigetragen, das Josef Posch durch entschlossenes Vorgehen beim Pockenausbruch 1970 in Meschede erworben hatte (siehe „Tückischer Vorführeffekt“).
Resultat: Die Mehrkosten modernster Tollwutimpfstoffe wurden durch ihren gezielteren Einsatz und die Vermeidung von Nebenwirkungen bei weitem aufgewogen. Diese rein ökonomische Erkenntnis beschleunigte weltweit die Wende in der Behandlung tollwut-exponierter Personen. Die HDC-Vakzine begann ihren weltweiten Siegeszug. Heute gibt es fremdstoffarme Tollwutimpfstoffe auf der Basis verschiedener Arten von Zellkulturen. Diese ganzen Entwicklungen nahmen in den 70er-Jahren ihren Ausgang.
Nachzulesen in:
„Innocuity and Side Effects of Human Diploid Cell Rabies Vaccine: Rationale and Facts after Vaccination of >500,000 Persons“: Kuwert, E., R. Triau and O. Thraenhard, 113-116 (1985) in Rabies in the Tropics, E. Kuwert, C. Mérieux, H. Koprowski and K. Bögel Editors, Springer Verlag (1985).
„Antirabies Treatment in Man in Relation to epidemiological Conditions: Nordrhein-Westfalen 1972“: Bögel, K., J. Posch, J. Quander, E. Kuwert and C. Plichta, Zbl. Bakt. Hyg. I Abt. Orog. A 231, 15-30 (1975).
„Cost Analysis of Wildlife Rabies and its Control in Europe“: Kahl, W., J. Quander, J. Posch and K. Bögel, Zbl. Bakt. Hyg., I.Abt. Orig. A240, 279-296 (1978).
„Progress in Rabies Control“: Thraenhart, O., H. Koprowski, K. Bögel und P. Sureau Eds. Proceedings of the 2nd International IMVI Essen/WHO Symposium on Developments in Rabies Control, 614 Pages, Wells Medical Limited (1989).