Sonderfunktion - Sicherheitsmaßnahmen in Mikrobiologie und Genetik 1976-1980
Sonderfunktion 1976-1980
Es war die Zeit, in der Molekularbiologen begannen, Erbgut durch „genetische Rekombination“ zu verändern und militante Tierschützer Institute überfielen, um Versuchstiere zu „befreien“. Um gefährdete Forschungsinstitute wurden Zäune, Video- und Alarmanlagen gebaut und Fluchtgänge für die Pförtner. Zudem war es die Zeit, in der die Weltgesundheitsorganisation nicht umhin konnte, sich zum Schutze der Menschheit mit biologischen Waffen zu befassen. Dr. H. Mahler, damaliger Generaldirektor der WHO, befreite mich im Dezember 1976 in drei kurzen Sätzen von meinen bisherigen Pflichten und machte mir den Aufbau eines WHO-Programmes zur Aufgabe, das sich mit dieser Problematik, zuvorderst aber mit der öffentlich sehr kritisch diskutierten „Genmanipulation“ befassen sollte. Dieser Begriff war in den Medien zu einem Reizwort geworden. Deshalb nahm ich diese Angelegenheit unter einen weniger kritischen Schirm, den ich „WHO Programm für Sicherheitsmaßnahmen in der Mikrobiologie und Genetik“ (kurz: WHO-SMM) nannte. International gab es mit dieser „heißen Ware“ richtig viel zu tun. Ich befand mich aber nicht mehr in dem kameradschaftlichen Umfeld der Virologen, Biologen und Epidemiologen, das über den Erfolg in vielen Jahren zusammengewachsen war.
Über „Genmanipulation“ wurde an vielen Fronten disputiert. Ausgangsstellungen wurden hart verteidigt. Sogar die Terminologie lag noch im Argen. Viele rochen Lunte und wollten ihre bislang ach so geschmähte Forschertätigkeit nach vorne gebracht wissen. An die Freisetzung künstlich veränderten Genmaterials war damals nicht zu denken. Alles rief nach absoluter Sicherheit oder gar Verbot. Und das berührte internationale Regularien. Mit als erstes musste ich zur „Internationalen Postunion in Bern“ wegen der Sicherheit im Transport von neuem Genmaterial. Dort verlangten Verpackungsaufschriften Französisch als Erstsprache und den sicher verplombten Verschluss von Postsäcken zwischen bestimmten Postzentren (klassische Diebstahlsicherung). Dagegen hatte die „International Air Transport Association“ (IATA) grundsätzlich Englisch als Primärsprache in ihren Aufklebern und verlangte, dass der Pilot ein Gefahrengut jederzeit von allen Seiten inspizieren kann. In „diplomatischen Verhandlungen“ auf Staatssekretärebene der Postunion bewirkte ich schließlich einen Kompromiss für die Kennzeichnung und den Transport von neu kombiniertem Genmaterial. Denn das zog weitere Kreise. Was, wenn ein Flugzeug mit solchem Material abstürzt, ein Schiff versinkt, ein Zug entgleist oder ein Auto zu Bruch geht? Es lag ja keinerlei Erfahrung vor. Das Risiko war unbekannt. Alle hatten Angst. Das belebte zwar meine Arbeit, war aber mit großen Unsicherheiten behaftet. Jeder Schritt brachte mich in höchstkritische Felder gesellschafts- und mächtepolitischer Art. Immerhin, mein Team wuchs, ich bekam Mitarbeiter und wir wendeten uns den dringendsten Problemen zu. Die Sicherheit in Genlaboratorien, Mikrobiologie und im Umgang mit Erkrankten an tödlichen Infektionskrankheiten waren ebenso wichtig wie die weltweite Akzeptanz der Biowaffenkonvention von 1972.
Der Aufbau der Arbeitsgruppe für Sicherheitsmaßnahmen in Mikrobiologie und Genetik nahm rasch Fahrt auf. Unangemeldet saß eines Tages, – ungefähr 2 Wochen nach meiner Ernennung – , mein Freund Joe Held im Büro. Damals war er der Tierarzt mit höchstem Dienstgrad in den USA (2-Sterne-Admiral und Wissenschaftler im National Institut of Health (NIH) in Bethesda). Tollwut und andere Zoonosen hatten uns über viele Jahre verbunden. Joe hatte den Jahreswechsel 1976/77 in den Schweizer Bergen verbracht. Erholt vom Skifahren hatte er nun vor dem Rückflug in die USA noch ein paar Stunden Zeit. „Konrad, how are you?“ klingt es mir noch heute in den Ohren. Nach üblichen Freundlichkeiten erzählte ich ihm von meiner neuen Aufgabe und meinen Sorgen, ohne eine Bitte auszusprechen. „Konrad I will help you“, war seine prompte Einlassung. Und schon war die erste Expertentagung konzipiert. Das NIH entsandte mit Vince Oviatt einen versierten „Safety Officer“ zum SMM-Team in Genf und finanzierte meine Chefsekretärin. Ein Gruppenfoto erinnert mich an diese „SMM Special Programme Consultation on International Transfer of Research Materials“ im September 1977, zu der wir ca. 30 Experten aus aller Welt nach Genf eingeladen hatten. Das Thema folgte den oben beschriebenen Gesprächen mit der Postunion und der IATA über die dringendste „Modernisierung“ ihrer internationalen Regularien.
Wir alle betraten damals Neuland. Um keine Zeit zu verlieren, bauten wir gleich einen zweiten Themenkreis in diese Tagung ein, nämlich Zusammensetzung und Aufgaben eines Lenkungsgremiums für mein ganzes WHO-SMM-Programm. Und da kam mir die Deutsche Bundesregierung mit Sondermitteln aus dem Gesundheitsministeriums entgegen. Schon wenige Monate später, Anfang April 1978, folgte dann die erste formale Sitzung dieses technischen Beratergremiums: „Meeting of the Board for Safety Measures in Microbiology and Genetics“, und zwar in Düsseldorf. Auch hierzu hatte ich ca. 30 Experten aus aller Welt eingeladen. Diese relativ große Expertengruppe erlaubte es, -mit fachlichen Dokumenten gut vorbereitet -, kleinere Gruppen zu bilden, die sich spezifischen Aufgaben bis in Details widmen konnten. So kam man rasch voran.
Die Wahl Düsseldorfs als Ort der entscheidenden WHO-Tagung kam nicht von ungefähr. Offensichtlich schloss sich hier ein Kreis gegenseitigen Vertrauens, der mit dem Gesundheitswesen und dem Veterinärbereich in Nordrhein-Westfalen in der Tollwutforschung seit Jahren gewachsen war (siehe dazu „Kosten-Nutzen-Vergleich von Tollwutimpfstoffen für den Menschen“). Aber es gab noch einen zweiten, gewichtigeren Grund, nämlich die Erfahrung von Prof. Dr. Posch und seinem Team aus dem Pockenausbruch 1970 (siehe dazu „Tückischer Vorführeffekt“). Er erlebte Aufgaben und Schwachstellen bei der Bekämpfung einer der gefährlichsten Seuchen aus erster Hand und hat daraus auch Konsequenzen gezogen. Richtungsweisend für SMM und als „Highlight“ der Tagung konnte er den Teilnehmern ein damals futuristisch anmutendes Vehikel zur Notbehandlung und zum Transport hochkontagiöser Patienten vorstellen. Hochachtung und eine unerwartete Heiterkeitsepisode brachten ihm als lokalem Gastgeber Ehre und Sympathie (siehe dazu „Tückischer Vorführeffekt“).
Aus meinen Aufzeichnungen ersehe ich, dass ich aus diesem Bereich keine persönliche Publikationen zurückließ. Dazu war keine Zeit. Von 1976 bis 1980 erarbeitete ich mit kompetenten Mitarbeitern und den externen Experten die Grundlagen für das WHO Laboratory Biosafety Manual, einem umfangreichen Werk, dessen erste Ausgabe 1983 erschien. Das betraf einen Quantensprung in „Biosafety“. Nach 4 Jahren habe ich dieses Programm mit gutem Budget und fähigem Nachfolger verlassen, um zu meinem angestammten VPH-Programm zurückzukehren. Ich war glücklich, den Posten des Chefveterinärs übernehmen zu können. Auf mich wartete vor allem die von mir schon eingeleitete strukturelle Stärkung der Seuchenbekämpfung durch internationale Einrichtungen (siehe Abschnitt 4).
Nachzulesen in:
WHO Laboratory Biosafety Manual, 1st Edition (1983), 3rd Edition (2004)
WHO Laboratory Biorisk Management Publications 2004, 2006, 2008, 2010, 2012 und 2013.