Aufbau der Europäischen Tollwutüberwachung 1974-1978
Schon früh in den Siebziger-Jahren sahen wir erste Feldversuche der Tollwutimpfung von Füchsen auf uns zukommen. Das von mir betreute "WHO/FAO Research Programme on Wildlife Rabies in Europe" (siehe „Eliminierung der Wildtiertollwut in Europa“) kümmerte sich deshalb rechtzeitig um den Aufbau einer intensiven Seuchenüberwachung.
Es kam auf eine aussagekräftige Untersuchungsdichte über Staatsgrenzen hinweg an, insbesondere auch in "tollwutbefreiten" oder von der Seuche direkt bedrohten Gebieten. Da der hunderte Quadratkilometer umfassende Impfgürtel an die wandernde Seuchengrenze angepasst werden musste, wurde ein einheitliches System für die Erfassung der Tollwutfälle notwendig. Etwas Vergleichbares mit der notwendigen Präzision und Schnelligkeit gab es noch nicht. Dieses Überwachungssystem stand dann auch rechtzeitig zur Verfügung, als in den Achtziger-Jahren mit der oralen Massenimpfung von Füchsen in freier Wildbahn begonnen werden konnte.
Geodätische Punkte zur kartographischen Darstellung der Tollwutfälle waren in den Ländern unterschiedlich definiert und berechnet, z. B. in der Schweiz in metrischen Abständen von einem Linienkreuz, dessen Zentralpunkt auf der Spitze des Bundeshauses in Bern lag, in Deutschland durch Gauß-Krüger-Koordinaten. Für die vielen nationalen Varianten mussten Mathematiker komplizierte Formeln zur Umrechnung entwickeln, um Seuchenfälle auf einer einheitlichen Karte darstellen und über den PC ausdrucken zu können. Nach Mühen und Rückschlägen waren wir erleichtert, festzustellen, dass es im militärischen Bereich ein einheitliches Kartensystem mit nationalen Umrechnungsformen längst gab, nämlich das Koordinatensystem der Nato. Es reicht von Amerika über Europa bis weit in die UdSSR. Auf vorsichtiges Anfragen erwies sich dieses für uns als zugänglich, denn es war auch in den Ostblockländern des Warschauer Paktes längst bekannt und allenthalben im Gebrauch. Alle Länder begrüßten unseren Beschluss und lieferten ihre Falldaten mit den harmonisierten Koordinaten an das dazu geschaffene Tollwutüberwachungszentrum der WHO in Tübingen.
Das war die erste Hürde. Dann zeigten sich vor allem Tourismusländer sehr zurückhaltend gegenüber diesem direkten internationalen Datenaustausch. Nur langsam gewannen sie Vertrauen. Während ich am Anfang mit meiner angeborenen Ungeduld die Veterinärspitzen erstinteressierter Länder in halbjährlichen Abständen nach Genf und Tübingen einlud, waren es die unermüdlichen Mitarbeiter des WHO-Zentrums in Tübingen unter Leitung von Prof. Dr. Lothar Schneider, die mit all ihren Überzeugungskünsten ein Land nach dem anderen nicht nur zur formellen Mitarbeit brachten, sondern auch die stetige Verbesserung der Überwachungstechniken bewirkten. Dazu gehörte die Ausbildung der Wildhüter und Jäger ebenso wie gewissenhafter Versand des Untersuchungsmaterials, Ausrüstung, diagnostische Fähigkeiten und Meldefreudigkeit der Laboratorien.
Bis 1992 half ich aus Genf noch etwas nach, so z. B. über meine Freunde in der UdSSR und mit ihrer Hilfe in der DDR. Ansonsten kann ich diese internationale Gesamtleistung heute nur noch als Zuschauer bewundern und der Bundesregierung für fortwährende Finanzierung seit den Anfängen danken.
Nachzulesen in:
WHO-Rabies Bulletin Europe: WHO Collaborating Center for Rabies Surveillance and Research, Institute of Molecular Biology, Friedrich Löffler Institut, Greifswald - Insel Riems. Vierteljährlicher Bericht mit Kartographie seit 1976 (heute Band 38) "Wildlife Rabies Control": Editors Bögel, K., F.X. Meslin and M. Kaplan, published by Wells Medical Ltd, Kent, UK., 222 Pages (1990)