Gründung von vier WHO-Zentren in der BRD (WHO Collaborating Centers)
Aufbau von beständigen internationalen Einrichtungen
Die oben beschriebenen WHO/FAO Programme zur vergleichenden Virologie und zur Bekämpfung der Wildtiertollwut hinterließen in der wissenschaftlichen Infrastruktur ihre Spuren. Unter anderem nutzte ich die Chance, an herausragenden Forschungsstätten sog. WHO-Zentren (WHO Collaborating Centers for….) einzurichten. In den Sechziger- und Siebziger-Jahren des letzten Jahrhunderts war nicht nur ich relativ neu in der WHO, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied dieser Staatengemeinschaft. Das hatte Vorteile. Die Bundesrepublik wollte neben ihrem hohen finanziellen Beitrag vor allem ihre Fähigkeiten und guten Willen einbringen. Ein Dr. Zoller (Arzt) war im Gesundheitsministerium in Bonn zuständig für die internationalen Angelegenheiten. Mit ihm plante ich bei einem „privaten“ Treffen, deutsche Institute eng an die WHO zu binden. Er fand den interdisziplinären und internationalen Charakter der Programme der Tollwutbekämpfung (siehe „Eliminierung der Wildtiertollwut in Europa“) und der vergleichenden Virologie (siehe „WHO/FAO Programm der vergleichenden Virologie“) auch für die Bundespolitik innerhalb Deutschlands höchst attraktiv. Bei meinen alljährlichen Besuchen in Bonn und seinen Besuchen zu Weltgesundheitsversammlungen in Genf wurde an diesem System weitergezimmert. Er erreichte – damals in Bonn – , einen Haushaltstitel zur finanziellen Unterstützung von WHO-Zentren in der Bundesrepublik. Für meine Arbeitsgruppe wurde zudem jährlich ein kleiner, extrabudgetärer „Reptilienfonds“ an die WHO überwiesen. Das erlaubte mir, vermehrt deutsche Wissenschaftler ins Ausland und ausländische zu meinen WHO-Aktivitäten nach Deutschland zu bringen. Alles ließ sich gut an, nur, bei meinen Besuchen in Bonn musste ich manchmal die Büroräume wechseln, wenn Staatssekretär Dr. von Manger-König im Hause war. Zu ihm hatte ich ein gutes Vertrauensverhältnis. Gerade deshalb durfte ich ihm dort nicht mehr über den Weg laufen. Ich hätte sonst über den Zweck meines Besuches berichten müssen. Er sollte aber nicht erfahren, dass damals über 90 % der deutschen Zuwendungen für WHO-Zentren in den Veterinärbereich flossen. Heute ist das Geschichte. Jetzt finden sich in der BDR über 30 WHO-Zentren, wohl verteilt über die vielen Bereiche von Krankheiten, Vorbeuge, Diagnostik und Therapie. Damals war es jedoch noch ein besonderes Politikum, für Zentren dieser Art Geburtshilfe leisten zu können. Mein persönlicher Einsatz betraf vier Projekte:
„WHO Collaborating Center (WHOCC)
(1) for Research and Training in Veterinary Public Health“ (Tierärztliche Hochschule Hannover),
(2) for Rabies Surveillance and Research“ (BFA für Viruskrankheiten der Tiere, Tübingen, (heute Friedrich Löffler Institut, Greifswald – Insel Riems),
(3) for Comparative Virology – Slow Viruses“ (Veterinärmedizinische Fakultät, Uni München),
(4) for Veterinary Public Health“ am Institut für bakterielle Tierseuchenforschung der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR, Jena. (Nach der „Wende“ wurde dieses WHO-Zentrum in andere Institute der Bundesrepublik integriert.)
Bei der Einrichtung eines fünften WHO-Zentrums am Robert von Ostertag-Institut des damaligen Bundesgesundheitsamts in Westberlin hielt ich mich zurück. Dieses WHOCC for Veterinary Public Health ist heute reorganisiert mit neuem WHOCC für Food Contamination Monitoring am Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Damit befasste sich in der WHO Prof. Dr. Abdussalam, der nach seiner Pensionierung auch zu diesem WHO-Zentrum wechselte. Zu jener Zeit hatte ich sehr viel mit WHO-Aktivitäten in Moskau und UdSSR-Instituten zu tun (Zentren und Seminare für Tollwut, Leptospirose, Brucellose und Epidemiologie). Es entstanden herzliche, von Politik ziemlich unbehelligte Berufs-Freundschaften, – trotz oder vielleicht gerade wegen der ständigen KGB-Begleitung zu meiner Überwachung während all der Aufenthalte in Moskau. Mit dem notwendigen Feingefühl erlebte ich zu Zeiten des „Kalten Krieges“ das Zusammenwirken der Wissenschaft zwischen Ost und West als eine Art Pionierleistung, die es umsichtig zu pflegen galt. Ich fühlte mich wohl dabei und reiste gerne nach Moskau (wo ich übrigens auch meine zweite Frau kennen lernte, die als westdeutsche Touristin unterwegs war).
Eine Besonderheit im Ost-West-Verhältnis war der Aufbau des WHO – Zentrums in Jena. Das war noch vor der politischen Wende. Die Planung begann 1986. Die Ideen dazu entwarfen Prof. Dr. Horst Meyer, Jena, und ich einst in einer einsamen Hotel-Bar auf einer Papierserviette. Jahre später, – an einer Geburtstagsfeier -, wurde dieses Beweisstück, für unser Zusammenwirken und unsere dauerhafte Freundschaft in die Runde gehalten und launig kommentierte. Kollegen, Politiker und Regierungsbeamte der DDR waren damals sehr positiv eingestellt und unterstützten mein Vorhaben trotz aller Reise-Beschränkungen des DDR-Regimes für seine Wissenschaftler. Ich selbst reiste in die DDR nicht als Deutscher, sondern als WHO-Mann über Checkpoint Charly in Berlin ein, ausgerüstet mit besonderem Pass der Vereinten Nationen (UN). Begleitet von einem russischen WHO-Mitarbeiter fuhr ich einmal mit meinem Auto von Genf durch die BRD über Hof in die DDR, für ihn und für mich ein besonderes Erlebnis. Zum Gründungs-Symposium des Zentrums im Frühjahr 1989 brachte ich Wissenschaftler aus vielen Ländern nach Jena, so auch aus der UDSSR, den USA, aus UK, Canada, Japan und Westdeutschland, aber – und das war das Besondere – auch Prof. Dr. Bulling aus dem Bundesgesundheitsamt (BGA) in Westberlin. Das BGA war für die DDR eine nicht zulässige und damit offiziell nicht vorhandene Bundeseinrichtung, weil in Westberlin gelegen. Eigentlich war es unmöglich, Prof. Dr. Bulling von diesem Institut in die DDR zu bringen. Bestenfalls war der BGA-Beamte für die DDR nicht existent. Für die WHO und mich war er aber sehr wichtig. Nun war der Weltexperte plötzlich auf dem Boden der DDR. Den Trick dazu werde ich wohl immer für mich behalten müssen. Den Mut des Kollegen Bulling bewundere ich ebenso wie die Kraft unseres gegenseitigen Vertrauens. Über wachsendes Vertrauen kam es durch dieses Symposium u. a. zu einer hochkomplexen epidemiologischen Studie zur Salmonellen-Infektion beim Menschen. Das zog sich bis in die Zeit nach meiner Pensionierung hin, dann unter meiner Federführung als Vorsitzender der Gesellschaft für angewandte Epidemiologie und Ökologie. Wissenschaftler aus West und Ost wirkten bestens zusammen.
Nachzulesen in:
„Pattern Analysis of Human Salmonella Enteritidis Infection“: Bögel, K., A. Käsbohrer, K. Stöhr, W. Lehmacher, und T. Talaska, Zbl. Bakt. 282, 474-497 (1995).